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Weiterführende Aerodynamik
Anstellwinkel & Einstellwinkel
Auftrieb wird nicht nur durch ein asymmetrisches Tragflächenprofil erzeugt.
Indem man die Tragfläche gegen die anströmende Luft anstellt, wird der Unterdruck an der
Oberseite größer. Genauso steigt der Überdruck an der Unterseite der Tragfläche.
Der Winkel zwischen der Profilsehne der Tragfläche und der anströmenden Luft wird Anstellwinkel genannt. Diesen Winkel darf man nicht mit dem Einstellwinkel verwechseln, dem Winkel zwischen Längsachse und Profilsehne, der natürlich nicht verstellt werden kann. Durch den Einstellwinkel bekommt das Flugzeug einen Anstellwinkel vorgegeben. Durch den Anstellwinkel wird die Luftströmung gezwungen, einen noch größeren Weg auf der
Oberseite des Profils zurückzulegen. Aus dieser größer gewordenen Druckdifferenz zwischen Ober- und Unterseite des Profils ergibt sich eine größere nach oben wirkende Kraft - Auftrieb und Widerstand werden größer.
Strömungsabriss
Bei Anstellwinkeln von ungefähr 16 bis 20 Grad kann die Luftströmung nicht länger als laminare Grenzschichtströmung der Oberseite des Profils folgen, weil eine zu große Richtungsänderung der Luftströmung erforderlich wäre. Sie wird jetzt gezwungen, vom oberen Punkt des Profils (Grenzschichtablösungspunkt) geradeaus nach hinten zu strömen. Das bewirkt eine Verwirbelung des Luftstroms auf der Oberseite des Profils, weil sie weiterhin dazu tendiert, der Oberfläche der Tragfläche zu folgen - es entsteht eine turbulente Strömung. Durch die plötzliche Verringerung an Auftrieb und die starke Zunahme an Widerstand verliert das Flugzeug an Höhe und stürzt ab.
grün = Dickenrücklage
blau = max. Profildicke
rot = Profiltiefe
Das Überziehverhalten verschiedener Flugzeuge wird in entscheidendem Maße durch die Profilform geprägt. Sogenannte "gutmütige" Profile mit großem Nasenradius und geringer Dickenrücklage (Lage der größten Profildicke in Prozent zur Profiltiefe) haben einen großen Übergangsbereich vom Beginn der Ablösung bis zum Überziehen. Die Ablösung kündigt sich rechtzeitig durch ein Schütteln an, bevor die Tragflächen in den Strömungsabriss geraten. Der Pilot hat genügend Zeit, durch
Fahrtaufnahme den Anstellwinkel zu
verkleinern.
Profile mit kleinem Nasenradius und großer Dickenrücklage zeigen ein
"kritisches Verhalten", sie geraten mit sehr wenig oder gar ohne Vorankündigung in den überzogenen Bereich. Hier hat der Pilot wenig Zeit
entsprechend zu reagieren.
Unabhängig vom Profil treten Strömungsabrisse vor allem bei Abfangmanövern, extremen
Kurven, unsauberer Fluglage oder zu niedriger Geschwindigkeit auf.
In dieser Situation darf man nicht mit dem Querruder versuchen, die Tragfläche wieder anzuheben! Denn das nach unten weisende Querruder verstärkt das Wölbprofil der Tragfläche, wodurch der Anstellwinkel de facto noch größer wird. Der Strömungsabriß wird dadurch also verstärkt!
Statt dessen muss man durch "nachlassen" oder drücken des Höhenruders den Anstellwinkel verkleinern. Droht das Flugzeug über eine Tragfläche "abzuschmieren", muss man mit entgegengesetztem Seitenruder gegenhalten. Zusätzlich sollte man die Motorleistung
erhöhen, um das Flugzeug zu beschleunigen und damit mehr Auftrieb zu erzeugen. Die vom Propeller an der Tragfläche vorbeigedrückte Luft vermindert außerdem die Wirkung des zu hohen Anstellwinkels.
Anzeichen und Warnsignale für Strömungsabrisse sind:
- das Ausfahren der automatischen Vorflügel,
- Vibrieren des Flugzeugs
- Geräuschentwicklung, vor allem Rauschen des sich ablösenden, verwirbelten
Luftstroms.
Auftriebshilfen
Um bei niedriger Eigengeschwindigkeit oder hohem Anstellwinkel trotzdem ausreichend Auftrieb zu liefern, verfügen moderne Flugzeuge über verschiedene Auftriebshilfen. Ihnen allen ist gemein, dass sie das Wölbungsprofil der Tragfläche verlängern oder ändern. Dadurch wandert der Grenzschichtablösungspunkt weiter nach hinten und die Abrissgeschwindigkeit sinkt bzw. der maximale Anstellwinkel wird größer.
Die wichtigsten Auftriebshilfen sind die Landeklappen und die Vorflügel. Die Landeklappen sitzen am hinteren Teil der Tragfläche, dort meist nahe der Flügelwurzel. Sie verlängern das Profil der Tragfläche und verstärken damit den Auftrieb. Allerdings erhöht sich durch sie auch der Luftwiderstand der Tragfläche, weshalb sie im voll ausgefahrenen Zustand nur im
Langsamflug sinnvoll eingesetzt werden können. Bei hohen Geschwindigkeiten besteht sogar die Gefahr, die Klappen durch die hohen Widerstandskräfte zu beschädigen oder
abzureißen.
Die Vorflügel befinden sich dagegen an der Vorderseite der Tragfläche. Sie werden meist automatisch angesteuert und klappen aus, wenn die Anströmgeschwindigkeit der Luft gegen die Tragfläche zu stark abnimmt. Dies passiert sowohl bei niedriger Geschwindigkeit als auch bei hohem Anstellwinkel. Durch die ausgefahrenen Vorflügel wird die Luft schon vor der Tragfläche in Richtung des Profils umgelenkt, so dass die Richtungsänderung am Profil nicht mehr so extrem ist und der Strömungsabriss vermieden wird. Dadurch ist es im Endeffekt möglich, den Anstellwinkel für langsamste Geschwindigkeiten oder extreme Manöver weiter zu erhöhen.