Energie verlagern


Wir haben bis hierher zwei Formen von Energie, die wir für den Luftkampf verwenden können. Gut und schön – nur was nützt uns das? Um einen Gegner zu besiegen, müssen wir Schussmöglichkeiten erfliegen. Schussmöglichkeiten erfliegen wir mit Manövern und im Normalfall brauchen wir umso mehr und radikalere Manöver, je stärker sich der Gegner zur Wehr setzt. Jedes Manöver kostet uns Geschwindigkeit, weil wir gegen die Massenträgheit unserer Maschine und den Luftwiderstand ankämpfen müssen. Der Luftwiderstand steigt enorm mit der Erhöhung des Anstellwinkels und genau das passiert, wenn wir manövrieren müssen. Und je radikaler wir manövrieren müssen, desto höher wird auch der Luftwiderstand. Manöver fliegen können wir aber nur, so lange wir schnell genug sind (Manövriergeschwindigkeit). Man könnte jetzt also fast sagen: Je schneller wir sind, desto besser sind unsere Chancen im Luftkampf? Aber auch nur fast, denn:

Unsere Chancen im Luftkampf sind umso besser, je mehr Energie wir haben!

Bisher war alles oben genannte auf die Geschwindigkeit (also 'kinetische' Energie) ausgelegt. Und ja, so lange wir schneller sind (also mehr 'kinetische' Energie haben) als unser Gegner und bei den Manövern nicht mehr davon verbrauchen als unser Gegner wird das auch funktionieren. Es gibt aber noch die 'potentielle' Energie.

Für den Luftkampf zählt die gesamte Energie!

Zusätzlich gibt es noch die Beschleunigungskräfte (g-Kraft). Die selbe enge Kurve mit höherer Geschwindigkeit fliegen um hinter dem Gegner zu bleiben, bedeutet deutlich höhere g-Kräfte als wenn wir langsamer sind. Diese Kräfte wirken auf unser Flugzeug und den Piloten ein. Im Normalfall (intaktes Flugzeug) wird der Pilot eher die Auswirkungen zu spüren bekommen (Blackout) als sein Flugzeug. Bei strukturellen Schäden am Flugzeug wird es eher genau andersrum sein.

Also nutzen wir ebenfalls die 'potentielle' Energie (Flughöhe). Wir können unsere Geschwindigkeit nämlich nicht nur durch eine hohe Anfangsgeschwindigkeit oben halten, sondern auch, indem wir im Sturzflug kurven, oder besser: Indem wir Höhe aufgeben. Ein Flugzeug im Sturzflug tauscht Höhe gegen Geschwindigkeit ('potentielle' gegen 'kinetische' Energie). Also können wir umso länger manövrieren, je mehr Höhe wir mit ins Gefecht bringen. Wir können aber nicht nur Höhe in Geschwindigkeit umtauschen, sondern auch umgekehrt Geschwindigkeit in Höhe ('kinetische' gegen 'potentielle' Energie) tauschen. Dies geschieht jedes Mal, wenn wir steiler steigen, als unser Motor zu leisten in der Lage wäre. Dabei nimmt unsere Geschwindigkeit ab, während unsere Höhe schnell zunimmt. Ein solches Steigen wird auch als „zoomen“ bezeichnet.
Wenn wir höher oder schneller sind als der Gegner (oder idealerweise beides), können wir länger die beiden Energieformen gegeneinander tauschen und haben damit einen Energievorteil.
Zusätzlich können wir noch den 'Energieverlust' und die 'Belastung' minimieren. Je höher oder langsamer wir fliegen, desto weniger Luftwiderstand. Und je weniger 'harte' Manöver wir fliegen (oder je langsamer wir bei diesen sind), desto weniger Energie verlieren wir (oder desto weniger belasten wir Pilot und Flugzeug) bei diesen Manövern.

Warum ist dies sinnvoll?

Die Antwort darauf liefert zum Beispiel das „High Yoyo“.
Wir fliegen hinter einem gegnerischen Flugzeug auf annähernd seber Höhe und sind schneller. Der Gegner fliegt eine Kurve.


Indem wir Geschwindigkeit in Höhe tauschen (wir werden dabei langsamer) bleiben wir hinter dem Gegner. Wir können außerdem engere Kurven fliegen, weil die Fliehkräfte geringer sind. Und zum Schluss verlieren wir bei radikalen Kurswechseln weniger Energie wenn wir sie bei niedriger Geschwindigkeit ausführen – denn der Luftwiderstand ist abhängig von unserer Eigengeschwindigkeit.
Alle diese Vorteile lassen sich durch einen kurzen Steigflug erreichen.
Nach dem Steigflug drehen wir wieder auf unseren Gegner ein und stürzen herunter (wir nutzen die gewonnenen Vorteile für die Kurve und tauschen anschliesend die gewonnene Höhe wieder gegen Geschwindigkeit ein) und landen ohne größeren Energieverlust wieder hinter unserem Gegner.

In drei Dimensionen zu denken und zu fliegen, das ist der Schlüssel zum Erfolg.

Nun stellt sich die Frage, welcher Energiespeicher der bessere ist. Dies können wir uns an einem einfachen Experiment verdeutlichen:
Wir beschleunigen zuerst in niedriger Höhe auf maximale Geschwindigkeit und dann steigen wir bis zur Abrissgeschwindigkeit. Je nach Flugzeugtyp werden wir zwischen 1500 und 2500 Höhenmeter gewinnen. Wir können aber mit jedem Flugzeugtyp leicht über 3000 Meter und noch höher steigen.
Ein Sturzflug aus dieser Höhe würde uns nach 2500 Metern Höhenverlust auf unsere Maximalgeschwindigkeit beschleunigen – und wir könnten trotzdem noch weiter stürzen.
Es ist also deutlich, dass die Flughöhe ein viel besserer Energiespeicher ist als die Eigengeschwindigkeit. An diesem Beispiel werden aber auch die Grenzen deutlich: Wenn wir in einer Bf 109 E7 mit einem Sturzflug auf 700 km/h beschleunigen und dann geradeaus weiterfliegen, wird uns der Luftwiderstand auf unsere Maximalgeschwindigkeit bremsen. Die Differenz zwischen unserer Sturzgeschwindigkeit und der Maximalgeschwindigkeit ist also durch Reibungswiderstand verloren gegangen – und genauso hat sich unser Energieniveau verringert.