Blockschulung
Jäger - Schiessschule
Thema
Umgebungsbewusstsein
im Luftkampf
Dieser Teil für den Block „Jäger- und Schiessschule“ ist eine Grundlage für alle Einsätze und Luftkämpfe. Jeder Pilot sollte es deshalb sorgfältig gelesen, überdacht und im Hinterkopf haben.
„Umgebungsbewusstsein“ ist ein konstruierter Begriff, er fasst mehrere wichtige Themen in einem Wort zusammen – das macht das Verständnis nicht unbedingt einfacher. Manche kennen ihn vielleicht schon aus dem englischen, dort wird von „Situational Awareness“, oder kurz „SA“ gesprochen.
– Umgebungsbewusstsein zu haben bedeutet erst einmal, das eigene Flugzeug blind zu beherrschen. Man fliegt nach Gefühl und weiß, ob noch weitere Manöver möglich sind oder die Maschine kurz vor einem Strömungsabriss ist.
– Es bedeutet außerdem, im Kampf zu wissen, wo der Gegner ist. Selbst wenn man ihn kurz aus den Augen verliert weiß man, wo er sich befindet und wohin er wahrscheinlich fliegen wird.
– Es bedeutet drittens, seine eigene Situation und Position zu kennen. Um bei Veränderungen schnell und richtig zu handeln.
– Es bedeutet ebenso, sich nicht überraschen zu lassen. Man verfügt über Techniken, mit denen man gegnerische Flugzeuge entdeckt, bevor sie eine gefährliche Position eingenommen haben.
– Und fünftens bedeutet es, dass man den Feind „riechen“ kann – man kann begründet schätzen, wo Gegner auftauchen werden und wo sie es nicht tun, ohne dass man sie sieht.
Es sind diese Fähigkeiten, die einen erfolgreichen Kämpfer von seinem Opfer unterscheiden. Sie sind schwer zu erlernen und noch schwerer anzuwenden. Trotzdem gibt es Techniken, die den Lernprozess vereinfachen. Diese werden wir in diesem Text kennenlernen.
Die Aufgabenlast – der Schlüssel zum Verständnis
Wenn man sich die fünf Punkte aus der Einleitung ansieht, können wir sofort die ständig zunehmende Fülle an Aufgaben erkennen, mit denen man es zu tun hat. Und genau dort liegt auch die Grenze für das eigene Umgebungsbewusstsein.
Ein Anfänger ist vollauf damit beschäftigt, sein eigenes Flugzeug vor dem Absturz zu bewahren und ist, zu großen Teilen, auf seine Instrumente angewiesen. Er hat überhaupt nicht die Zeit, um sich auf etwas anderes zu konzentrieren.
Mit zunehmender Erfahrung kann er ein Flugzeug im Auge behalten. Später sind es dann zwei, die er im Auge behalten kann. Nachdem er einige Male von einem feindlichen Flügelmann beim Luftkampf von hinten überrascht wurde, wird er lernen, auch im Kampf nach Gefahren Ausschau zu halten. Und irgendwann spürt er ein Prickeln im Nacken, wenn irgendwo ein Gegner im Anflug ist.
Egal wie gut er ist – er ist nicht unbesiegbar.
Ein Fliegerass mag jeden einzelnen Gegner besiegen können, aber wenn er es mit fünf auf einmal zu tun bekommt, wird er irgendwann einen von diesen aus den Augen verlieren – und dieser hat dann die Chance zum Abschuss, oder mit den Worten von Erich Hartmann: „Viele Hunde sind des Hasen Tod“. Nicht, weil er besser als das Ass ist, sondern weil der durch zu viele Aufgaben, die er gleichzeitig zu erledigen hat, überlastet ist.
Deshalb sollten wir uns merken: Die Übersicht geht durch Überlastung verloren.
Blindes Beherrschen des Flugzeuges – die Voraussetzung
Wo fangen wir also an, um möglichst vielen Aufgaben gewachsen zu sein? Naheliegenderweise beim Fliegen. Wir können nicht kämpfen, wenn wir nicht richtig fliegen können. „Richtig“ bedeutet hier, dass wir lernen müssen, auf die Instrumente in gewissen Hinsicht zu verzichten.
Übung und Erfahrung lehren uns ein Gefühl dafür, in welcher Lage sich unser Flugzeug befindet. Allerdings nicht irgendwie, sondern durch äußere Anzeichen:
Die Geschwindigkeit, mit der sich der Boden, Wolken oder Sterne bewegen
Das Geräusch des Motors
Die Stellung des Gashebels
Unsere Fluglage in Bezug auf den Boden und in Bezug auf andere Flugzeuge
Strömungsgeräusche der Luft
...
Eine gute Methode, solch „blindes Fliegen“ zu erlernen, ist der Kunstflug, oder auch Platzrunden drehen, während man permanent über eine Schulter nach hinten sieht. Es ist außerdem nützlich im Flug ganz bewusst nach Möglichkeiten
zu suchen, die eigene Fluglage ohne Instrumente einzuschätzen. Einige Möglichkeiten sind oben
bereits genannt worden.
Indem wir uns von unseren Instrumenten und der Sicht nach vorne unabhängig machen, gewinnen wir die Freiheit, uns umzusehen.
Das ist der erste wichtige Schritt, um überhaupt kämpfen zu können.
Denn: Wir können nur bekämpfen, was wir auch sehen können.
Und daraus folgt: Wer nicht blind fliegen kann, wird blind kämpfen.
„Sehen“ defensiv – niemals unachtsam sein
Bevor wir uns auf einen Gegner stürzen können, müssen wir ihn erst einmal finden. Und zwar, bevor er uns findet, damit wir auch eine gute Chance gegen ihn haben.
Dazu gehören zwei Dinge, erstens müssen wir Ausschau nach dem Gegner halten und zweitens müssen wir ihn daran hindern, uns zu überraschen.
Beides wird durch die richtige Technik des Ausschauhaltens erreicht.
Sehr häufig gilt: Es erwischt dich der, den du übersehen hast. Neun von zehn Abschüssen werden erreicht, wenn das Opfer sich der Gefahr nicht bewusst war. Ausgedehnte Luftkämpfe enden meist mit einer beschädigten Maschine auf der Flucht, die man oftmals nicht mehr niederstrecken kann, ohne sich selbst in tödliche Gefahr zu begeben.
Damit wir uns nicht überraschen lassen, müssen wir jeden Bereich des Himmels oft genug nach Feinden abtasten.
Viele Bereiche können wir aber nicht einsehen.
Die wichtigsten sind:
– Der tote Winkel hinter und unter unserer Maschine
– Die Bereiche unter unseren Tragflächen
– Der tote Winkel unter unserer Motorhaube
– Durch Streben verdeckte Ausschnitte
Zuerst müssen wir herausfinden, wie groß diese toten Bereiche in unserem Flugzeugmuster sind. Dann müssen wir ein Verfahren einstudieren, mit dem wir systematisch alle sichtbaren Bereiche abtasten können und möglichst regelmäßig die toten Bereiche freilegen können.
Unser Suchverfahren müssen wir üben, bis es automatisch abläuft. Dieser Punkt kann nicht überbetont werden.
Werden wir in unserer Aufmerksamkeit nachlässig, sind wir leichte Beute!
Und wir sind auch sehr schnell erledigt, wenn wir es zulassen, denn:
Ein Gegner braucht nur zehn Sekunden, um anzugreifen und abzuschießen.
Wie kann man in so kurzer Zeit den gesamten Himmel absuchen? Nicht durch bewusstes Spähen, das dauert zu lange. Statt dessen können wir unser Unterbewusstsein für uns arbeiten lassen. Wenn wir eine Landschaft betrachten, fallen uns vor allem Dinge auf, die sich bewegen. Das gilt besonders für Flugzeuge, die sich am Himmel bewegen. Bewegungen nimmt unser Unterbewusstsein selbst aus dem Augenwinkel wahr, deswegen können wir die Umgebung in wenige, große Abschnitte unterteilen. Außerdem fallen Dinge auf, die sich stark von ihrem Hintergrund abheben, wie z.B. schwarze Punkte vor einer weißen Wolkenwand. Dieses Sehen funktioniert aber nur, wenn sich der Hintergrund nicht bewegt – deshalb müssen wir stillhalten. Also: Unbewegte Abschnitte kurz auf Bewegungen oder Kontraste prüfen. Für dieses Sehen reicht eine gute Sekunde.
Weil unsere Augen neben- und nicht übereinander sind, ist unser Gesichtsfeld breit und niedrig. Und um den ganzen Luftraum um uns herum absuchen zu können teilen wir ihn in 5 Abschnitte (hinten links, linke Tragfläche, vorne, rechte Tragfläche, hinten rechts) auf. Und der menschlichen Anatomie entsprechend prüfen wir der Reihe nach jeden dieser Abschnitte nach dem Muster Oberhalb / Selbe Höhe / Unterhalb.
Wer sich jetzt an den Teil zu Funkverkehr erinnert weiss, welche Bereiche als oberhalb, selbe Höhe und unterhalb definiert werden. Alles was darüber und darunter liegt bezeichnen wir als Hoch oder Tief.
Dieses Prüfmuster kann man mit einem ganz normalen Coolie-Hat ohne Schwierigkeiten durchlaufen. Auf jeden Fall sollten wir das Sichtfeld so gross wie möglich („Weitwinkel“) einstellen, weil sich dadurch die Sichtbereiche besser überlappen.
Wer bisher aufgepasst hat, der bemerkt aber zwei Probleme:
Die blinden Bereiche bleiben blind und wir sehen nicht, was genau über uns passiert.
Beide Probleme lassen sich mit einem einfachen Manöver lösen: S-Kurven.
Indem wir das Flugzeug etwa 30° zur Seite rollen, ohne am Höhenruder zu ziehen, fliegen wir eine sanfte S- Kurve, die die blinden Bereiche wandern lässt. Dadurch werden die Zonen, die zuvor blind waren, aufgedeckt. Durch die 30° - Schräglage verschiebt sich unser Sichtfeld – auf der einen Seite gucken wir mehr zum Himmel, auf der anderen mehr zum Boden. Dadurch können wir vor allem den Bereich einsehen, der etwa 45° über uns ist – die Zone, aus der Angriffe aus der Überhöhung am häufigsten durchgeführt werden.
Wir müssen also unser Prüfmuster erweitern:
S-Kurve rechts: Prüfmuster von links nach rechts
S-Kurve links: Prüfmuster von rechts nach links
Mit etwas Übung fliegen wir so einen Generalkurs, um den wir in jede Richtung etwa 15° bis 20° pendeln. Wir kommen immer noch sehr schnell voran und sehen beinahe alle wichtigen Bereiche ein. Die S-Kurve legt außerdem die Zone direkt vor unserer Motorhaube frei und als besonderen Bonus verhindert sie, dass die Cockpitstreben ständig denselben Teil des Himmels verdecken.
Mit einer sogenannten Viertelrolle kann man außerdem die „tiefe Sechs“ überprüfen: 90° in eine Richtung rollen und in dieser Richtung nach hinten gucken. Dies sollte man regelmäßig, z.B. nach jeder zweiten S-Kurve, mit einflechten.
„Sehen“ offensiv – niemals den Gegner verlieren
Es gibt im englischen ein Sprichwort: „Lose sight – lose fight!“ (Verliere den Sichtkontakt und du verlierst den Kampf!) Diese Regel gilt auch für uns.
Wir dürfen nie den Gegner aus den Augen verlieren, bis wir ihn besiegt haben.
Das geschieht auf zwei Weisen:
Als erstes halten wir den Blick möglichst immer auf das Ziel gerichtet. Dazu ist das blinde Beherrschen des Flugzeugs
noch wichtiger als beim defensiven „Sehen“. Denn jetzt müssen wir die gelernten Flugmanöver einsetzen, um in Schussposition zu kommen – und zwar ohne Blick zum Instrumentenbrett. Deshalb ist es so wichtig, die Manöver in- und auswendig zu können!
Zweitens müssen wir mitdenken, während wir manövrieren: „Gleich verschwindet der Bursche unter meiner Tragfläche, ich
werde ihn ca. 2 Sekunden nicht sehen können...“ was tun in diesem Moment? Die Antwort darauf lautet die
Ausrichtung des Ziels zu betrachten und zu schätzen, wohin er sich bewegen wird, wenn wir wieder Sichtkontakt zu ihm haben können. Man beginnt dann an diesem Punkt nach ihm zu suchen – und nicht dort, wo man ihn verloren hatte sondern dort wo er sein sollte!
Hilfreich ist dabei der Hintergrund: Dort, bei dem Wolkenfetzen müsste er sein,
er war zuletzt direkt neben der Flussschleife, gleich sollte er an der Straße auftauchen, etc.
Umgebungs-„Sehen“ – nicht den Überblick verlieren
Zuletzt ist es wichtig, dass wir im Luftkampf nicht all unsere Aufmerksamkeit auf eine einzelne Sache konzentrieren. Wie schon bei der Aufgabenlast angesprochen, müssen wir nach Möglichkeit so viel wie möglich von unserer Umgebung im Auge – oder zumindest im Kopf – behalten. Wenn wir uns auf unseren Gegner konzentrieren, werden wir sehr schnell zum Opfer seines Rottenfliegers, oder irgend eines anderen Gegners.
Der Trick ist hierbei aber nicht, sich Augen im Hinterkopf wachsen zu lassen, sondern Pausen im Kampf zu erkennen und zu nutzen.
Pausen entstehen im Kampf immer dann, wenn der Gegner oder wir selbst unseren Zustand für die nächsten Sekunden nicht ändern. Wenn der Gegner steil hochzieht, ist er für ein paar Momente in diesem Manöver gefangen – dafür sorgt die Massenträgheit und die Schwerkraft. Er hat nur wenige Möglichkeiten für Manöver und sie alle benötigen eine Wende in Richtung Boden. Der Gegner bewegt sich also vorhersagbar. In so einem Moment können wir ihn entweder abschießen, oder wir sind nicht in Reichweite oder Schussposition.
In den beiden letzteren Fällen können wir aber kurz über beide Schultern nach hinten schauen, ob sich dort einer seiner Freunde anpirscht.
Oder wir können diese Pause nutzen, um einen schnellen Blick in die Runde zu werfen:
Ist ein neuer Kontakt hinzugekommen?
Ist das da oben mein Kamerad
oder womöglich ein Feind?
Wo befinde ich mich gerade?
Am Anfang werden wir nur die großen
Pausen nutzen können.
Aber umso wichtiger ist es, sich im Kampf immer wieder selbst zu sagen: „Wenn du kannst, guck dich um!“ Denn fast immer erwischt einen der, den man nicht gesehen hat.
Zum Umgebungs-„Sehen“ im weiteren Sinne gehört aber auch, dass wir uns unserer Position auf der Karte vergewissern.
Bin ich in der Nähe eines feindlichen Platzes? (= neue Kontakte sind wahrscheinlich feindlich, Verstärkung wird einige Zeit brauchen)
Befinde ich mich zwischen einem feindlichen / freundlichen Platz und dem Zielgebiet? (= „Autobahn“, hier werden viele Kontakte durchkommen, die die Sache unübersichtlich machen)
Wie viel Zeit und Treibstoff brauche ich für den Rückweg? (= Wie lange darf ich im Kampf bleiben?)
Es sind diese Fragen und eine gute Beurteilung der Lage, die einen guten Flieger den Gegner „riechen“ lässt.
Er weiß, wie die Chancen stehen, dass als nächstes ein Gegner am Horizont auftaucht.
Und er berechnet anhand der Distanz zu den Feindplätzen die zu erwartende Flughöhe der
Feindflieger.